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Interview mit Jan Josef Liefers: „Niemand ist nur sauer“

Am 4. November 1989 hielt der erst 25-jährige Jan Josef Liefers vor Hunderttausenden Demonstranten auf dem Berliner Alexanderplatz eine Rede, in der es um die fusionierten Strukturen der DDR ging. Ein paar Tage später fiel die Mauer und alles war anders. Liefers machte Karriere in der wiedervereinigten Bundesrepublik, wurde zum “Tatort”-Star und beliebten gesamtdeutschen Schauspieler.

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Der gebürtige Dresdner liebäugelte nicht oft mit seiner östlichen Herkunft. Nur gelegentlich blitzt es auf, etwa als er Mitglied der Bundeskommission anlässlich drei Jahrzehnte Mauerfall und Wiedervereinigung war. Liefers hat sich nun einer historischen Episode aus dieser denkwürdigen Wende gewidmet, die ebenso bemerkenswert wie vergessen war: In dem lehrreichen und charmanten Dramatiker-Kammerspiel „Honecker und der Pastor“ (Montag, 21. März, 20.15 Uhr, im ZDF ) hat der 57-Jährige – diesmal als Direktor – als Pfarrerfamilie den gestürzten und damals obdachlosen DDR-Machthaber und seine Frau Margot im Januar 1990 in Lobetal und Brandenburg untergebracht.

Herr Liefers, wann und wie kamen Sie auf die Idee, die Honecker-Folge zu verfilmen – und was hat Sie am meisten fasziniert?

Der mächtigste Mann der DDR-Diktatur und seine Frau, bekannt als Lila Hexe und ehemalige Kultusministerin, verstecken sich nach ihrem Sturz in der Kinderkrippe eines Pfarrers! Ich konnte es nicht glauben und musste erstmal lachen. Wo in aller Welt endet ein Diktator so? Für mich liegt in der Traurigkeit dieses Abgangs sowohl Tragödie als auch Komödie. Hinzu kommt das flüchtige Christentum der Familie Holmer! Der Einzug der Honeckers stellte das Leben der Familie in der gesamten Stadt Lobetal komplett auf den Kopf.

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Hatten Sie ganz schnell die Hauptbesetzung im Kopf – und hat Edgar Selge sofort für Honecker übernommen?

Ich hatte die Hauptfiguren ziemlich schnell im Kopf. Ich kenne die vier schon lange, sie sind alle hervorragende Spieler! Zuerst dachte Edgar, ich sollte ihn nach dem Pfarrer fragen. Das fand er offensichtlicher, und er spielte wirklich Uwe Holmer. Aber ich fand es im Gegenteil interessanter. Honecker und seine Frau sind nicht unbedingt zwei Traumfiguren. Doch oft werden die ungeliebten Rollen im Beruf zur interessanteren Aufgabe. Ich muss gestehen, ich bin sehr stolz auf mein Ensemble, hervorragende Kollegen auch in den kleinsten Rollen! Von meiner Frau Anna über Kurt Krömer bis hin zu meiner Mutter, die Holmers Sekretärin spielt. Ich finde das alles wirklich sehenswert.

Der Erzähler ist ein kleiner Junge, Sohn der Pastorenfamilie und heute 45 Jahre alt. Haben Sie Kontakt zum echten Cornelius?

Ich kenne jetzt etwa ein Zwanzigstel der extrem großen Holmer-Familie persönlich. Ich traf zum ersten Mal den echten Cornelius, wir hatten ein ausführliches Gespräch. Er liebt das Projekt und hat seiner Familie klar gemacht, dass es uns gut geht und wir nicht respektlos sind. Vieles des Films stammt aus Aufnahmen und Gesprächen mit der Familie, aber auch vieles von anderen Zeitzeugen aus den 1990er Jahren, etwa ehemaligen Mitarbeitern von Lobetal. Außerdem gab es Dokumentationen von damals und einige Tipps von unserem beratenden Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk.

„Bedingungsloses Christentum bis zur letzten Konsequenz gelebt“

Würden Sie sagen, dass Honecker und seine Frau Margot Ihren Film relativ gut finden? Und wie haben Sie es geschafft, sich in das diktatorische Paar einzufühlen?

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Will man ungeliebten Charakteren gerecht werden und einen interessanten Film mit ihnen machen, muss man ihnen Raum geben, man kann ihnen keine Dimension vorgeben. Niemand ist nur schlecht. Sie sind mit ihrer Ideologie verschmolzen, Betonköpfe, stur und unbeherrschbar. Sie kennen das von Leuten, die zu lange an der Macht sind. Aber ich denke auch, dass die Honecker sehr beeindruckt waren von der Rezeption der Holmers und ihrer christlichen Prinzipien. Auf jeden Fall zeigten Erich und Margot ihre Dankbarkeit und Holmers schickte später jedes Jahr eine Weihnachtskarte aus ihrem Exil in Chile.

Welche Verantwortung trägt Honecker Ihrer Meinung nach persönlich für die Verbrechen in der DDR? Der Film zitiert die Vorstellung, dass er die Dinge sofort geändert hätte, wenn man ihn nur über die Situation im Land informiert hätte.

Und Honecker antwortet: Ich habe alles gewusst! Ich denke, die einzige Antwort auf diesen Honecker war die Führung der KPdSU in der damaligen Sowjetunion. Was an den Grenzen der DDR geschah, was der Stasi zugeschrieben wurde, was der hochkarätige Staatsanwalt Schalck-Golodkowsky tun durfte, alles geschah mit Wissen und Befehl Honeckers, oder zumindest mit seiner Zustimmung.

Was denken Sie: Hat Barmherzigkeit den Pfarrer wirklich motiviert? Schließlich hatte er denen Zuflucht gewährt, die die Kirche immer unterdrückt hatten.

Ja, ich glaube es, weil Holmer oder seine Familie damals keinen sichtbaren Nutzen aus Holmers Handlungen gezogen haben. Im Gegenteil, er hat auch mit sehr kritischen Stimmen aus den eigenen kirchlichen Kreisen zu kämpfen. Für Holmers lebte das bedingungslose Christentum bis zur letzten Konsequenz.

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Der Ton des Films ist manchmal sogar seltsam, manchmal wie in einem Familienspiel, manchmal sogar düsterer. Wollen Sie in diesem Sinne ein Gleichgewicht finden?

Ja, das war meine Absicht. Stellen Sie sich vor, es klingelt an der Haustür und plötzlich steht da Donald Trump mit Melania, zwei Koffer in der Hand – um zwei notorische Promis der Gegenwart als hinkenden Vergleich heranzuziehen. Sie leben jetzt in einem Zimmer in ihrer Wohnung, sie sitzen am Tisch, teilen ihren Eintopf, teilen sich die Toilette mit ihren Kindern. Alle Beteiligten wären definitiv überfordert, würden sich etwas hart verhalten, hemmen und auch ein bisschen komisch aussehen. Oder?

Ihr “Tatort”-Kollege Axel Prahl spielt eine nette Nebenrolle. Wessen Vorschlag war das? Inwiefern sind Sie und Herr Prahl nicht nur kollegial, sondern auch privat verbunden?

Wir wurden Freunde. Und wir denken beruflich aneinander. Den ständig rauchenden Herrn Schimke, der Axel so wunderbar spielt, hat es wirklich gegeben. Ich habe ihn in einer Dokumentation über seine Zeit in der Anstalt Lobetal entdeckt. Man spürte seine geistige Behinderung und gleichzeitig seine schurkischen Qualitäten! Auf jeden Fall hat Axel den kleinen Schimke gerne und sehr gut gespielt!

„Ich bin mit einem kritischen Geist aufgewachsen“

Inwieweit konnten Sie für das Projekt auf Ihre eigenen DDR-Erfahrungen zurückgreifen? Erinnern Sie sich, wie Sie Honecker in jungen Jahren und später, als die Mauer fiel, angesehen haben?

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Zu Hause konnte jederzeit alles gesagt und gedacht werden. Ich bin mit einem kritischen Geist und mit allerlei Witzen über SED-Funktionäre aufgewachsen. Mein Eindruck war immer, dass die DDR-Regierung und die Bigwigs-Partei nichts mehr mit dem Volk zu tun haben. Sie lebten in ihrer eigenen Welt. Einmal vor der Wahl musste sich die SED nicht anstrengen, die Partei hatte ihre führende Rolle direkt in der Verfassung verankert. Jeder, der das in Frage stellte, war ein Verfassungsfeind. Die SD hat die Wahl auf jeden Fall gewonnen, das wurde nicht hinterfragt. Ein bisschen wie heute vielleicht bei Präsident Putin, der damals wie ich in Dresden lebte, wo er für den sowjetischen Geheimdienst KGB arbeitete.

Hat Sie Ihre eigene Biografie, Ihre Zeit als junger Schauspieler im Osten, durch die Arbeit an dem Film nähergebracht?

Der Ursprung, der Weg, den du seitdem gegangen bist, der dir immer nahe bleibt. Und natürlich wird ein Film wie dieser Ihre eigene Aufmerksamkeit zurückbringen. Aber ich habe keine nostalgischen Gefühle oder gar Sehnsucht, in die Vergangenheit zu reisen. Netz!

Bis Ende 2020 sitzen Sie in der Bundeskommission für die drei Jahrzehnte seit Mauerfall und Wiedervereinigung. Können Sie dort und später durch das Filmprojekt Dinge über die DDR und die Wende erzählen, die Ihnen vorher nicht bewusst waren?

Es neigt dazu, im Laufe der Jahre Legenden zu schaffen. Immer gut so etwas zu fragen. In diesem Komitee gab es viele Experten und Historiker, die in ihrem Lebenswerk andere Dinge taten als ich. Auch wenn ich langsam auf die 60 zugehe, bin ich immer noch ein Wissbegieriger und möchte jeden Tag etwas Neues lernen. Inzwischen habe ich aber auch zu einigen Fragen etwas beizutragen. Es war also ein Geben und Nehmen, definitiv eine interessante Erfahrung.

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„Leider fehlt uns die Zeit und Muße, uns kritisch mit uns auseinanderzusetzen“

Jetzt, da die Debatte erst vor kurzem begonnen hat: Gibt es Positives aus der DDR-Zeit, das unserer heutigen Gesellschaft zugute kommen würde? Und umgekehrt: Was sind die negativen Folgen der Wiedervereinigung, über die zu wenig gesprochen wird?

Gerade als du dabei bist, tief Luft zu holen, um darüber nachzudenken, taucht etwas Größeres, Wichtigeres, Gefährlicheres oder Bedrohlicheres auf. Assads Krieg und die Flüchtlingswelle aus Syrien, dann der Klimawandel, dann die Pandemie und jetzt Putins Krieg gegen die Menschen in der Ukraine. Alles in allem geht es unseren Deutschen noch gut genug, und wir haben leider nicht die Zeit und Muße, uns selbst kritisch zu betrachten.

Welche Themen im Osten kommen Ihrer Meinung nach nicht oft genug im deutschen Fernsehen und Film vor? Was sollte sich in diesem Sinne ändern?

Oh, es wird noch viele spannende Geschichten geben. Weniger über die großen sozialen Bewegungen, den Fall der Berliner Mauer et cetera, sondern mehr über die außergewöhnlichen Einzelschicksale von Menschen, die es nie auf die große mediale oder politische Bühne schaffen, von denen wir aber etwas für unsere Menschlichkeit lernen können.

RND/Teleschau