ÖOft steht er draußen am Feldrand und schaut zu. Dann nimmt er auf, was auf der Wiese vor ihm passiert. Am Mittwochvormittag schlüpfte Bundestrainer Hansi Flick allerdings oft aus der Rolle des genauen und stillen Beobachters. Der Trainer war unverblümt und kaum zu hören, als die deutsche Fußballnationalmannschaft bei strahlend blauem Himmel neben dem Stadion des Fußball-Bundesligisten Eintracht Frankfurt trainierte.
Zu Beginn beobachtete Flick eine Gruppe um Serge Gnabry, Timo Werner, Kai Havertz und Nico Schlotterbeck. Es ging darum, den Ball aus kurzer Distanz zu spielen und ihn dann in ein kleines Tor zu schießen. „Gut gemacht“, „etwas präziser spielen“ – Flick lobte, Flick kritisierte. Das fast 90-minütige Training, in dem schließlich mehrere Freistoßvarianten geübt wurden, war das erste vor den nächsten Länderspielen gegen Israel am Samstag (20.45 Uhr, im WELT Sportsticker) und am kommenden Dienstag gegen die Niederlande (20.45 Uhr).
Zwei Spieler, die das Mix-and-Match des Trainers repräsentieren. Flick, sagte er vor einigen Tagen, erwarte, „dass alle ein bisschen anpacken“. Die vier hochkarätigen Nations-League-Partien im Juni gegen Italien, England und Ungarn sollen laut Flick dann zum „absoluten Gradmesser“ für die WM passen.
Flick blickt auf den Ukraine-Krieg
So sehr Flick bei allem, was er über die WM in Katar bespricht, plant und letztlich entscheidet, im Hinterkopf hat, das Weltgeschehen gibt ihm im Moment zu denken. Es wäre schade, die Bilder aus der Ukraine zu sehen, sagte der Bundestrainer vor einigen Tagen. „Ich habe die Erwartung von meinem Team, dass sie in diesen schwierigen Zeiten Spaß und Freude vermitteln, dass es eine kleine Ablenkung für all die Menschen ist, die sich große Sorgen machen“, sagte Flick.
Spieler sollen und wollen nicht nur mit dem Fußball ein Zeichen setzen und ihre Solidarität mit den Menschen in der Ukraine zum Ausdruck bringen. Auch die nächsten Tage – bis zum Spiel gegen Israel in Sinsheim – werden genutzt, um Botschaften zu verschicken. Momentan ziert das Peace-Zeichen die Trainingskleidung. Als die Spieler am Montagabend in der Mannschaftszentrale in Frankfurt am Main ankamen und es zu dämmern begann, wurden die Bäume vor dem Hotel in Blau und Gelb, den Nationalfarben der Ukraine, angestrahlt.
Am Samstag wird das Peace-Zeichen auf Bändern in einem Center Circle-Trailer gezeigt. „Unsere Gedanken sind bei den Menschen in der Ukraine“, betonte Oliver Bierhoff, Leiter der Nationalmannschaften, am Dienstag, als der DFB und seine 21 Landesverbände zu einem nationalen Solidaritätsspieltag und zu Spenden für die Menschen in der Ukraine aufriefen. Der Verein und die Gründung der deutschen Nationalmannschaft erhöhen die Spendensumme auf bis zu 200.000 Euro.
Diskussionen über Katar auch im DFB
Bei den Zeichen und Botschaften will der DFB vor allem rund um das Spiel am Samstag dezent und nicht übertreiben agieren. Sie wissen, dass weniger manchmal mehr ist. Als sich die Mannschaft im März vergangenen Jahres unter ihrem damaligen Bundestrainer Joachim Löw auf der Duisburger Insel traf und mit 3:0 gewann, sorgte die Mannschaft weltweit für Furore. Vor der WM-Qualifikation posierte die Startelf in schwarzen T-Shirts mit der Aufschrift „HUMAN RIGHTS“, um auf die schwierige Menschenrechtssituation im WM-Gastgeberland Katar aufmerksam zu machen. Jeder Spieler trägt ein T-Shirt mit einem Buchstaben darauf. Dafür gab es viel Applaus, aber nicht nur positives Feedback zur Aktion.
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Dagmar Freitag, Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag, lobte die Grundaussage, zeigte aber auch Anzeichen von Doppelmoral. „An der persönlichen Einstellung der DFB-Nationalspieler habe ich keinen Zweifel“, sagte er am Freitag. Allerdings merkte sie, wie “schwierig der Nahkampf” werden würde, wenn sich wenige Tage später einige Spieler mit der Aufschrift des Vereinssponsors Qatar Airways auf dem T-Shirt-Ärmel anstellen würden. Die Airline ist Partner des FC Bayern.
Allerdings gab es damals auch Kritik an der Aktion, da es aus Sicht des DFB ein weiteres gutes Zeichen wäre, wenn die Öffentlichkeit darüber informiert würde, dass die Spieler im Vorfeld der Protestaktion Hand angelegt haben. Ein Making-of-Video wurde in Umlauf gebracht, das einige Spieler zeigt, die Bürsten tragen, mit fröhlicher Musik im Hintergrund.
Besuchen Sie Menschenrechtsorganisationen
Nun, fast ein Jahr ist vergangen, ist das Thema Katar wieder im Kreis der Nationalmannschaften präsent.
Am Dienstagabend besuchten die beiden Vertreter von Amnesty International und Human Rights Watch die Nationalmannschaft und sprachen 15 Minuten lang mit den Spielern, Trainern und Betreuern. Anschließend gab es eine offene Diskussion. Auch der neue DFB-Präsident Bernd Neuendorf war vor Ort und nutzte die Gelegenheit, die Nationalspieler zu besuchen. Auch Heike Ulrich, Generalsekretärin, war anwesend.
Oliver Bierhoff bezeichnete den Informationsabend mit den Mitgliedern der Menschenrechtsorganisationen als Auftakt einer Reihe. Laut Bierhoff soll das Team einen Einblick in verschiedene Themen und ein tieferes Bild davon bekommen, was Menschenrechte sind und was sie bedeuten – in Deutschland und weltweit. Sie sollen laut Bierhoff wissen, was von Menschenrechtsorganisationen angeprangert wird und was es zu beachten gilt. „Uns ist wichtig“, sagte der ehemalige deutsche Stürmer, „dass sich die Mannschaft für die Menschenrechte einsetzt.“
Zur Situation im WM-Land sei nicht alles bestens, sagte Bierhoff, „aber es wird angepackt“. Bierhoff war in den vergangenen Monaten mehrfach in Katar. Dabei ging es nicht nur darum, die WM für die deutsche Mannschaft zu planen. Bierhoff führte auch viele Gespräche über die Lage im Land.
Er betonte, dass der Kontakt zu den Bewohnern streng limitiert sei und sich sehr stark auf die politische Führung sowie das OK und den Weltverband Fifa beschränke. Als Beispiele für Verbesserungen nennt Katar die „Durchbrechung des Kafala-Systems, die Einführung von Mindestlöhnen und die Erleichterung von Jobwechseln“. Trotzdem gibt es Widerstand im Land und es geht langsamer voran, als man gehofft hätte.“ Experten könnten “mithelfen zu sagen: Die Entwicklung darf nach der WM nicht aufhören.”
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Die Spieler sind sich ihrer besonderen Rolle bewusst.
Leon Goretzka, derzeit nicht in der Nationalmannschaft, weil er fast drei Monate verletzt war, verwies kürzlich in einem Interview mit WELT AM SONNTAG auf die „Macht des Sports“. “Man muss die Dinge ansprechen, ansprechen und einfordern. Sport hat die Kraft, die Welt zu verändern”, sagte Nelson Mandela einmal als Sportler in den Medien.
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